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"History Bonus": Deutsche Minderheiten im Ausland


Russland, Polen, Bessarabien – immer wieder erzählt unsere Chronik von Gemeindegliedern, deren Familien als Auslandsdeutsche aus entlegenen Gebieten Europas nach Bremen kamen: die Mittelstädts, Schwabs und Mibs aus Polen, die Krauses, Sieglers und Eichelbergs aus Bessarabien, die Friesens und Sawadskys aus Kasachstan.

Wie kam es zu diesen deutschen Minderheiten im Ausland?
Was viele heute vielleicht nicht wissen: Deutschland war seit der frühen Neuzeit ein Auswandererland! Kriege, Missernten und religiöse Unterdrückung hatten Generationen von Deutschen veranlasst, der Heimat den Rücken zuzukehren. Freiheit, eigener Grundbesitz und die Befreiung vom Kriegsdienst kamen als lockende Argumente meist noch dazu.
Ganz oben auf der Liste der Sehnsuchtsorte stand bereits im späten 17. Jahrhundert Amerika, doch wir wollen uns hier auf Europa und Russland fokussieren.

Die Siebenbürger Sachsen im heutigen Rumänien sind die älteste deutsche Aussiedlergruppe. Ursprünglich aus dem Rhein- und Moselgebiet stammend, folgten sie im 12. Jahrhundert dem Ruf des ungarischen Königs an die Karpaten. Sie gründeten Städte wie Kronstadt (Brașov) oder Hermannstadt (Sibiu). 1930 lebten etwa 300.000 Siebenbürger Sachsen im Vielvölkerstaat Rumänien. Selbst unter der kommunistischen Diktatur konnten sie die deutsche Kultur und Sprache beibehalten. Seit den 1970er Jahren allerdings und besonders nach Fall des Eisernen Vorhangs wanderte die große Mehrheit aus in die Bundesrepublik. Viele bildeten „Cluster“ im Süden Deutschlands, einige verschlug es aber auch in den Norden, wie zum Beispiel hoop-Mitglied Bruno Stefes.

Große Auswanderungswellen gingen durch die deutschen Staaten im 18. Jahrhundert. Um die Steppengebiete jenseits der Wolga zu kolonialisieren, erließ die – deutschstämmige –Zarin Katharina die Große 1763 ihr „Einladungsmanifest“. Etwa 8000 Familien aus Bayern, Baden und Hessen folgten dem Ruf und bildeten den Kern der Wolgadeutschen, unter ihnen die Vorfahren mütterlicherseits von Pastor Alexander Friesen. Es gab noch eine zweite Gruppe deutscher Auswanderer nach Russland: die religiöse Gemeinschaft der Mennoniten, die sich dem preußischen Kriegsdienst entziehen wollten. Sie wurden von Katharinas Administration im Süden der heutigen Ukraine angesiedelt, nachdem sich Russland 1783 die Krim angeeignet hatte. Zu dieser Gruppe gehörten die väterlichen Vorfahren von Pastor Alex. Es ist anzunehmen, dass die Friesens sogar holländische Wurzeln haben.

Als Hitlerdeutschland 1941 den Pakt mit Sowjetrussland aufkündigte, nahm das Leben der Russlanddeutschen eine jähe Wendung. Sowjetische Behörden verschleppten die Deutschen in die Tiefen des riesigen Reiches. Pastor Alexander Friesens Vater wurde in einem Arbeitslager in Tachelabinsk (Ural) geboren: man hatte seinen Vater für den Glauben in den Knast gesteckt. Alexanders Mutter wiederum landete mit ihrer Familie in Kasachstan und Kirgisistan. In dieser Zeit wurde den Russlanddeutschen die deutsche Sprache verboten. Alexander Friesen erinnert sich, dass seine Großmutter noch altdeutsch gesprochen hatte, seine Eltern dagegen ausschließlich mit Russisch aufgewachsen sind. Als Aussiedler in Deutschland mussten sie sich das sprachliche Erbe ihrer Vorfahren erst wieder aneignen.

Bessarabien liegt im Gebiet der heutigen Republik Moldau. Deutsche Auswanderer kamen auf Einladung des Zaren 1813 in das Land: Auch hier galt es, unbewohnte Landstriche zu kolonialisieren. Bis 1940 hatte sich ihre Zahl verzehnfacht. Im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes wurden die Bessarabien-Deutschen in das besetzte Polen umgesiedelt. 1945 flüchteten sie in Richtung Westen.

Eine deutsche Minderheit hatte es auch in Polen gegeben. Irene Wolf, geb. Schwab, erzählt: „Meine Vorfahren wurden im 17. Jahrhundert aus Baden-Württemberg angeworben. Katharina die Große hatte sich Polen einverleibt. Nun hatte sie viel Land und wenig Leute. Und da hat sie ihre Bewerber losgeschickt nach Baden-Württemberg.“ Bis zu der Zeit, als Hitler Polen überfiel, hatten die Auslandsdeutschen in Polen kein schlechtes Leben. Es gab deutsche Schulen und eine deutsche Kirche, und in Städten wie Łódź gab es sogar eine richtige Erweckung.


Quellen:
Verwendete Literatur: Schröcke 1999, S. 7-24; Lieder 2022, S. 82-83; Overhoff 2022, S. 19. Weitere Informationen gaben Alexander Friesen, Bruno Stefes und Irene Wolf.